Vor einigen Wochen ist meine Tochter, die bald 13 Jahre alt wird, von ihrer Freundin und deren Vater zum Freizeitsport eingeladen worden. Nach dem Erlebnis hat sie sich uns Eltern anvertraut, erzählt, dass ihr der Vater der Freundin übergriffig war, indem er ihr unter anderem einen Klaps auf den Hintern gab. Mein Partner, der Vater meiner Tochter, ist sofort wütend geworden, richtete seine Wut aber ziemlich schnell gegen sie, indem er sie in ihrer Wahrnehmung hinterfragte. Ich hatte also zunächst keine Zeit, meine Tochter aufzufangen, sondern musste zunächst scharf einschreiten und diese Form der Gewalt beenden und meinen Partner auf diesen Fehler hinweisen. Mein Partner hat mittlerweile ein Bewusstsein für solche misogynen und patriarchalen Muster, fängt sich schnell und ist schon immer in der Lage gewesen, sich zu entschuldigen und für seine Fehler Verantwortung zu übernehmen. Danach ging es darum, wer von uns beiden dem übergriffigen Vater eine kritische Rückmeldung auf den Freizeitexkurs erteilt. Mein Partner wollte es selbst machen. Dieser Vorgang, vom wollen zum machen, hat dann aber mehrere Tage gedauert und viel emotionale Arbeit von mir erfordert, damit mein Partner sich traut, eine knappe und klare Ansprache zu finden, ohne zu verharmlosen oder zu beschwichtigen. Der übergriffige Vater reagierte empört, leugnend und mit einer Palette an Unreife und Abwehrmechanismen. Mein Partner rang wieder viele Tage damit, wie eine angemessene Reaktion darauf aussehen könnte. Immer in dem Glauben, man müsse nur die richtigen Worte, den richtigen Ton, den passenden Moment finden, um das Gegenüber davon zu überzeugen, dass er einen Fehler gemacht hat. Und natürlich rang er auch in der Hoffnung auf ein Happy End, darauf, dass der andere Mann ihn nicht abwehren und abwerten wird, dass er ihn trotzdem anerkennen wird. |
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Mein Partner fand gute Worte, er fand auch einen guten Zeitpunkt, einen angemessenen Ton ebenfalls. Er ging in einem längeren Text mit dem übergriffigen Vater in den Diskurs, den Dialog, die kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit, Verantwortung und Privilegien und zog mutig eine Grenze. Die Reaktion darauf war Abwehr und Dialogverweigerung. Die Reaktion meines Partners wiederum darauf: hach Mist, es war nur nicht die richtige Art der Ansprache, ich hätte so und so und so … Meine Erfahrung mit solchen Grenzziehungen ist leider sehr oft, dass Männer in die Abwehr gehen, noch bevor sie einmal geblinzelt haben, egal welchen Tonfall, welche Wortwahl oder welchen Zeitpunkt ich dafür nutze. Ein in seinem Ego gekränkter Mann reagiert immer defensiv, abwehrend, infantil und leugnend — früher oder später. Es gibt hierfür keinen richtigen Tonfall oder Moment. Jemand der nicht bereit ist, bei konstruktiver Kritik sein Ego zurückzustellen, ein Verantwortungsbewusstsein für das eigene Handeln zu entwickeln und kein gewisses Maß an emotionaler Reife mitbringt, um die Befindlichkeiten der anderen zu validieren, kann unmöglich einen Widerspruch anerkennen, einen Fehler eingestehen oder im Dialog bleiben, um alle Gefühle oder Meinungen die da sind, zu halten. Und hier spreche ich schon von der Situation, wenn es verschiedene Meinungen und Gefühle gibt, die ihre Berechtigung haben. Dabei geht es die ganze Zeit darum, dass ein erwachsener Mann einer 12jährigen auf den Po klapst und das nicht nur für völlig normal hält, sondern auch noch für unverschämt, dass wir als Eltern das bemängeln. |
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Um die Kritik an meinem Partner mit einer zur Komplexität gehörenden Note zu ergänzen, habe ich noch eine Erinnerung aus meinem eigenen Ally-dasein als Mutter gekramt. Schließlich ist es für alle Geschlechter nicht immer alles so ganz einfach und schon gar nicht schwarz und weiß. |
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In meinem Nahumfeld bin ich schon oft für mich eingestanden, habe mich unbeliebt gemacht, Grenzen gezogen und verteidigt. Die Konsequenz daraus ist, dass ich ein neues feministisches Umfeld für mich schaffen konnte, aber auch viele Menschen ausschließen musste und abgelehnt wurde. Für mich ist es also ein Akt der Selbstfürsorge Grenzen zu ziehen. Eine liebgewonnene Gewohnheit mit einem erkämpften Selbstverständnis. Allerdings gibt es Menschen, bei denen es mir besonders schwer fällt, diese Grenzen zu halten. Als wir einmal im Familienkreis im Restaurant essen waren, sagte ein männliches Familienmitglied zu meiner Tochter, mit einem spöttischen Amüsement und Gelächter, es gäbe auf der Karte einen Zickensalat, der wäre doch was für sie. Mein Ärger spülte sich in meinem Mund zusammen, wuchs zu einem Loch Ness und wollte den Mann einsaugen und im Nichts verschwinden lassen. Leider spülte ich meinen Ärger aber, ohne dass das meine Absicht war, mit dem nächsten Schluck Wasser und ohne den Mann darin runter. Und statt meiner Tochter das beste Vorbild in Sachen Selbstverteidigung gegenüber toxischer Männlichkeit zu sein, biss ich nur betroffen auf meinen Lippen herum, als sich unsere entsetzten Blicke trafen. Ich ließ sie hilflos und ausgeliefert damit allein. Und das nur, weil ich Mitleid und Nachsehen mit einem alten, weißen, tattrigen Mann hatte und mir die Angst im Nacken saß, mit meiner Kritik an seinem Verhalten für schlechte Stimmung zu sorgen. Nachsicht ist eine feine Tugend und für mich in vielerlei Hinsicht ein Geschenk im Umgang mit Menschen, aber wenn sie die eigene Sicherheit und die der Lieben aufs Spiel setzt, ist sie der unglückseligste Witz, den man reißen kann. Die Angst vor schlechter Stimmung ist eigentlich die Angst vor Ablehnung, in meinem Fall von einem geliebten Menschen, zu dem ich in emotionaler Abhängigkeit stehe. Emotionale Abhängigkeiten sind neben wirtschaftlichen und sozialen Abhängigkeiten also auch ein Grund, warum wir unter Umständen keine oder keine uneingeschränkten Allyships eingehen. Meine Freundin kritisierte mich für dieses situative Versagen mit dem Hinweis, ich müsse hier noch meine Hausaufgaben machen. Recht hat sie. Am Ende des Tages, muss jeder für sich erkennen, wo noch Hausaufgaben zu erledigen sind. |
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Die für mich allerschönste und zuversichtgebendste Allyship in dieser Woche, könnt ihr hier ansehen. Ich wünschte mir eine Welt voll mit solchen mutigen und standhaften Männern, die ihre Wut nutzen, um die Freiheit von FLINTA*-Personen zu verteidigen, anstatt diese Wut passiv bei sich zu behalten, sie zu benutzen, um im Boysclub competitiv zu sein oder als letzte Konsequenz FLINTA* umzubringen. Eine solche Welt ist möglich. Setzen wir sie um. |
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Es grüßt, Christin
Hier kannst du den Newsletter WORTSPIELFELD abonnieren! _ Christin Herrmann, geboren 1984 und aufgewachsen in Brandenburg, lebt seit 2004 in Leipzig. 1988 beschloss sie Sängerin, oder mindestens Schauspielerin zu werden. Folglich studierte sie Jazzgesang an der Hochschule für Musik und Theater »Felix Mendelssohn Bartholdy« und ist seither Berufsmusikerin und Dozentin für Gesang und Stimmbildung. Als Sängerin steht sie seit ihrem 12. Lebensjahr auf der Bühne und spielte als Musikerin und Darstellerin in verschiedenen Genres und Bühnenarten. Als »die herrmann« veröffentlichte sie zwei Indiepop-Alben in deutscher und sorbischer Sprache. Unter dem Pseudonym »Wortspielfeld« veröffentlicht sie seit 2018 Kurztexte, die mit Amüsement ins Tabu grätschen, zuerst auf insta, aktuell auf steady WORTSPIELFELD. Als Autorin erfuhr sie 2020 in »WELTBETRACHTER — neue Lyrik. Eine Anthologie aus Sachsen« eine erste Publikation. Weiter ist sie hin und wieder publizierte feministische Autorin für Magazine wie Rozhlad und @music.s.women. |
